Der Spatz pfiff es von den Dächern am Bismarckplatz

Wilmersdorf 2016Beim Begriff Zeitungsstadt kommen einem zuerst die Kochstraße und das Druckhaus Tempelhof, dann das Mossehaus und schließlich das Zeitungsviertel in den Sinn – keinesfalls aber Grunewald, Inbegriff des Villenviertels. Am Bismarckplatz 1 residiert heute das Umweltbundesamt in einem Gebäudekomplex, den der Architekt Tischer 1936 als Sitz des Reichsarbeitsführers (RAD) schuf. Den Reichsarbeitsdienst mussten alle Heranwachsenden zwangsweise absolvieren und unterlagen damit der Kontrolle und Gängelung durch das Regime. Die Alliierten beschlagnahmten das Gebäude. Bereits am 22. März 1946 erhielt Arno Scholz mit der Zulassung Nr. 19 der britischen Militärregierung die Lizenz zur Herausgabe einer Tageszeitung, des "Telegraf".

Arno Scholz, Sohn eines Neuköllner Bürgermeisters lernte im Druck- und Verlagsgewerbe und arbeitete als Redakteur sozialdemokratischer Zeitungen, bis er 1933 Berufsverbot erhielt und sich als Werbeberater über Wasser halten musste. Seine Erfahrungen aus der Weimarer Demokratie befähigten ihn in den Augen der Engländer besonders für die Aufgabe, die Bevölkerung an die Demokratie heranzufuhren. Wegen Papiermangels konnte der Telegraf anfangs nur dreimal pro Woche erscheinen. Ab 1950 kam die Nachtdepesche als Abendausgabe des Telegraf. Scholz nahm damit eine Berliner Zeitungstradition auf, nämlich dem Gebot der Aktualität zu gehorchen und bis zu dreimal am Tag zu erscheinen! Auch der Tradition geschuldet ist der Montag als zeitungsfreier Tag, da am Sonntag die Maschinen ruhten. So konnte der Mauerbau, von den Akteuren bewusst auf einen Sonntag gelegt, erst am Dienstag, dem 15.August, durch die Zeitungen gemeldet werden. Der Spatz als Maskottchen des Telegraf sinnierte: „Mein Freund vom Alexanderplatz, / der sitzt nun fest, der arme Spatz. / Und macht man ihn auch flügellahm, / Berliner Spatzen werd‘n nicht zahm.“

Wilmersdorf 2016 bDas Gebäude am Bismarckplatz firmierte 1946 bis 1972 als Druck- und Verlagshaus Grunewald. Es beherbergte die Zeitungsredaktion und den Druck sowie den Arani-Verlag und die Heussler & Co.GmbH. Arno Scholz engagierte sich im „Verteidigungskampf der Insel der Freiheit“. Er dokumentierte die Geschehnisse in drei Chronikbanden für den Zeitraum 1945-1960. Er starb im Alter von 67 Jahren am 9. August 1971. Er konnte seinen Telegraf nicht mehr retten, der zuletzt am 30. Juni 1972 erschien. Der Spatz dazu: „Vergessen ist mein Dichterglück, / ich kehre in den (Grune)Wald zurück. / Denn leider hat man über Nacht / een krummet Ding mit mir jemacht.

Über viele Facetten der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte gibt es heute keine Unterlagen mehr. Das Wirtschaftsarchiv hat die Aufgabe, Unterlagen zur Berliner Wirtschaft zu sichern und für die Nachwelt zu erhalten. Hinweise hierzu sind herzlich willkommen.

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Text: Prof. Dr. Klaus Dettmer